Läuferische und andere Erlebnisse bei einem Halbmarathon - Tamara und Armin Walter

Tamara Walter beim Wörthersee-Halbmarathon 2016 (Foto: Armin Walter)
Tamara Walter beim Wörthersee-Halbmarathon 2016 (Foto: Armin Walter)

Nach dem Marathon ist vor dem Marathon. Jetzt schnell neue Ziele setzen, das hilft der Regeneration und der Motivation!


Eines der nächsten Ziele könnte im Sommer ein flotter Halbmarathon sein, z.B. bei "Kärnten läuft" der Halbmarathon. Tamara Walter, die seit einiger Zeit nach einem Trainingsplan vom team2012.at trainiert und sich jetzt sehr über den geschafften Marathon in Wien freut, war dort voriges Jahr dabei. Ihr Mann, Armin Walter, ist nicht nur ihr treuer Begleiter bei Training und Wettkampf, sondern er schafft auch das in diesem Zusammenhang Erlebte in schöne Worte zu kleiden.

 

Die wollen wir euch nicht vorenthalten. Absolut lesenswert und inspirierend! 

 

Wörthersee Halbmarathon - Der Tag der Schmerzen

 

Er begann, wie es sich für so einen Tag gehört – mit aufstehen. Ein an und für sich unerfreuliches Ereignis wird durch die Uhrzeit zur Pein. Sechs Uhr Tagwache. Am Abend davor fürchtete meine liebe Frau, vor Aufregung nicht einschlafen zu können. Der treusorgende Ehemann an ihrer Seite gab ihr mit seinen sanften Worten Kraft und vor allem Ruhe, so dass sie gegen 23 Uhr die Augen schloss. Leider nicht den Mund. Aus dem hörte der Ehemann nämlich Töne, die er noch nicht gehört hatte. Jedenfalls nicht von seiner lieben Frau. Vor vielen Jahren versetzte ihn Linda Blair mit ähnlichen Geräuschen in „Der Exorzist“ als vom Leibhaftigen Besessene in Angst und Schrecken. Deswegen geht man sich ja einen Horrorfilm ansehen. 

Im Schlafzimmer, am Abend vor einem Halbmarathon, kommt das bei mir weniger gut an. Mit einem leisen „Dreh dich bitte auf die Seite“ versuchte ich, ihr den Teufel auszutreiben, erst ein Gebrülltes „NESPRESSO, WHAT ELSE?!“ bescherte ihr gegen 2 Uhr Traumbilder, die sie zum Schweigen brachten. Ich genoss die Stille und war drauf und dran, in einen kurzen, aber erholsamen Schlaf zu fallen, als George Clooney seinen Kapselkaffee ausgetrunken hatte und sich von ihr verabschiedete. Der Leibhaftige hatte aber noch Zeit für sie.

Nach geschätzten 17 Minuten in einem dämmerartigen Zustand weckte mich meine liebe Ehefrau mit einem Kuss. „Guten Morgen, mein Schatz. Hast du auch so gut geschlafen?“, hörte ich eine Stimme die mir zwar bekannt war, aber die ich nicht genau zuordnen konnte. „Nein, nicht so gut“, sah ich mich antworten, als ich über meinem Körper schwebte. „Das war die Aufregung“, sagte die Stimme. „Ja, wahrscheinlich.“

Nach einem wortlosen Filterkaffe in einer dämmrigen Welt, die ich so noch nicht kannte, machten wir uns auf den Weg zum Bahnhof in Klagenfurt. Von dort brachte uns ein Sonderzug mit lauter Menschen, die anscheinend gut und ausgiebig geschlafen hatten, nach Velden. Die halbstündige Fahrt nützte meine liebe Frau, einen Powerriegel im Gegenwert von 500 Kalorien zu sich zu nehmen. „Willst deinen nicht auch essen“, fragte sie die fremde Lebensform, die neben ihr saß. „Meine Magennerven sind noch nicht auf Nahrungsaufnahme eingestellt“, dachte ich. Sprechen konnte ich noch nicht. In Velden strömten hunderte Menschen mit blauen Leibchen aus dem Blechwurm und wir schlossen uns dem Prozessionszug der „Kärnten läuft“ Sekte an. Nach kurzem Fußmarsch erreichten wir den Startbereich. Ich wusste, ich war an dem Ort, an dem ein neuer Stern am Läuferhimmel aufgehen würde.

 

Wie bei allen Lauf-Großveranstaltungen war der Startbereich in Blöcke nach der erwarteten Endzeit eingeteilt. Die schnellsten Läufer vorne, die langsamsten hinten. Punkt 8.45 Uhr ertönte der Startschuss für den vordersten Läuferblock. Wir mussten noch etwas warten, da wir uns aus lauftaktischen Gründen an der Tafel „länger als 2:01“ ganz hinten einreihten. Wir wollten das psychologische Moment für uns nutzen. Jeder Läufer, den wir überholen, würde uns noch stärker machen. Kurz nach neun Uhr war es so weit. Ein mächtiger Kanonenschlag war unser Zeichen. Von Endorphinen durchflutet riss ich euphorisch meine Hände in die Höhe. Jetzt konnte mich nichts mehr stoppen. Außer vielleicht die Laufgeschwindigkeit meiner lieben Frau, aber darauf konnte ich jetzt keine Rücksicht mehr nehmen.
Im Pulk ging es durch Velden, wo uns die klatschende Menge auf unserem Weg verabschiedete. Ich winkte ihnen freundlich, wie es Athleten eben so zu tun pflegen. 21 Kilometer lagen nun vor uns. 21 Kilometer?! Bist du deppat! KM 4: Ich schwitze, als wären meine Poren so groß wie die vom „Das Boot“- Kapitän Jürgen Prochnow. Auch bei meiner lieben Frau, die sich bemüht, mein Tempo zu halten, zeigen sich auf der Stirn erste Tropfen. Aber sie schwitzt generell wenig.

 

KM 7: Einer unserer vielen Überholvorgänge. Ein etwa 75jähriger Mann, irrsinnig drahtig, hat trotz dieser neuartigen Kompressionsstrümpfe, die ermüdungsfreieres Laufen ermöglichen, keine Chance gegen meinen Angriff. Der Geschwindigkeitsunterschied ist zu groß. Ich täusche zuerst links an. Als er die Lücke schließen will, schere ich blitzschnell rechts aus und bin mit vier, fünf schnellen Schritten an ihm vorbei. Um Kraft zu sparen, hält sich meine liebe Frau aus unserem Zweikampf heraus und läuft zwei Meter daneben an ihm vorbei. 

 

KM 10: Labestation! Ich schnappe mir den Becher Wasser und eine Banane von einer der vielen helfenden Hände und trinke natürlich im Laufen, um keine Zeit zu verlieren. Meine liebe Frau bleibt stehen, weil sie sagt, dass sie beim Laufen nicht trinken kann. Wenn ich mich an der Banane nicht verkutzt hätte, wäre meine liebe Ehefrau an ihren Schrittmacher nicht mehr herangekommen. Da sie wusste, dass nur mit meiner Hilfe eine gute Zeit zu erwarten ist, hat sie gewartet, bis mein Hustenanfall vorbei war.

 

KM 14: Zwei Drittel der Distanz sind geschafft. Meine Waden brennen wie Feuer, meine Knöchel schmerzen, meine Lungenbläschen haben aus unerfindlichen Gründen ihre Fähigkeit zum Gasaustausch verloren. Atmen erscheint als völlig sinnloser Vorgang. Ich versuche, den Sauerstoff über die Haut aufzunehmen. Meine liebe Ehefrau schwitzt auch schon.

 

KM 19: Sagt zumindest meine liebe Frau, die das Schild mit der Distanzmarkierung gesehen hat. Mein Körper hat die Versorgung jener Organe, die nicht direkt mit der Aufrechterhaltung lebenswichtiger Funktionen beschäftigt sind, bereits eingestellt. Mein Körper schmerzt von den Ohrläppchen zu den Zehennägeln. Nur mein eiserner Wille lässt mich noch einen Fuß vor den anderen setzen. Und warum? Ich habe mich zu sehr auf Laufgeschwindigkeit meiner lieben Frau eigestellt. Anstatt lange, kraftvolle, ausladende Schritte zu machen, habe ich mich ihrem Trippelschritt angepasst. Aber dazu ist man verheiratet, um sich gegenseitig zu unterstützen. Ein Fotograf an der Strecke macht von uns ein Foto. Meine Frau lacht in die Kamera. Ich atme in die Kamera und bin böse auf sie.

 

ZIELEINLAUF: „Ihr seids Finnischa!“, höre ich einen Mann aus der Menge rufen. „Nein, wir sind Österreicher“, denke ich. Ich taumle dem Ziel entgegen, es geht hoch zu einer Rampe. Ich schaff’s nicht mehr. Meine liebe Ehefrau schnappt sich meine Hand und zieht mich weiter. Wir laufen fast gemeinsam über die Ziellinie. Natürlich habe ich ihr den Vortritt gelassen. Wir haben es tatsächlich geschafft. Wir umarmen uns und ich drücke ihr einen Kuss auf die Lippen. Böse bin ich ihr nicht mehr, dafür dankbar.

 

P.S.: Unsere Zeit: 2:18: irgendwas. Persönlicher Rekord, Streckenrekord und wahrscheinlich Weltrekord in meiner Altersklasse. Wir belegen die Plätze 2591 und 2592.