Russlands Staatsdoping: IOC-Präsident Bach geht vor Putin in die Knie, fällt Sportlern in den Rücken und desavouiert die WADA. Zustimmung praktisch nur vom ÖOC!

Russlands Präsident Putin (li), ÖOC General P. Mennel (3. v. links) und ÖOC-Präsident Stoss (ganz rechts). Foto: "der Standard" (online, 25.7.); (c) apa, ÖOC, Erich Spiess (bei Beanstandung der Veröffentlichung bitte uns kontaktieren)
Russlands Präsident Putin (li), ÖOC General P. Mennel (3. v. links) und ÖOC-Präsident Stoss (ganz rechts). Foto: "der Standard" (online, 25.7.); (c) apa, ÖOC, Erich Spiess (bei Beanstandung der Veröffentlichung bitte uns kontaktieren)

Bereits vor einigen Tagen wurde der Komplettausschluss der russischen Leichtathleten von den Olympischen Spielen in Rio 2016 wegen systematischen (Staats-)Dopings im großen Stil beschlossen. Untersuchungen, die im Prinzip von einem einzelnen Journalisten (Hajo Seppelt) initiiert wurden brachten zutage, dass sich das Doping keineswegs auf einzelne Sportler oder Gruppen beschränkte, sondern dass man tatsächlich von staatlich gesteuertem Doping in Russland inkl. struktureller Vertuschung und Manipulation sprechen kann.

 

Es erschien von Beginn an mehr als unglaubwürdig, dass sich diese Manipulationen auf die Leichtathletik beschränkten, wobei u.a. auch der russische Sportminister Mutko persönlich seine Finger im Spiel hatte.

 

Der in den letzten 57 Tagen fertigstellte Untersuchungsbericht des kanadischen Prof. McLaren im Auftrag der Welt-Antidopingagentur (WADA) bestätigt die schlimmsten Befürchtungen. Er zeigt nicht nur die filmreifen Manipulationen im Rahmen der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi unter Mitwirkung des russischen Geheimdienstes und führender Politiker, sondern auch staatlich gesteuerte Betrügereien in vielen Sommer- und Wintersportarten.

 

Auf Basis des umfassenden Untersuchungsberichts kam die WADA zur Erkenntnis, dass ein Ausschluss des russischen NOK und damit aller russischen Sportler von den Olympischen Spielen in Rio eine notwendige Maßnahme zur Strukturreform darstellt. Wie viele Kommentatoren zusammenfassten: "Was muss ein Land noch alles anstellen, damit es von Olympischen Spielen ausgeschlossen wird, wenn es in derart gravierender Form gegen die Olympischen Werte verstößt?", wäre bei rationaler Vorgangsweise nur ein Ausschluss die logische Entscheidung des IOC als Ausrichter der Olympischen Spiele gewesen.

 

Gestern gab nun das IOC in Person ihres Präsidenten Thomas Bach die Entscheidung bekannt:

 

Das IOC schließt Russland NICHT aus, sondern überträgt die Verantwortung an die jeweiligen Fachverbände, die selbst entscheiden mögen, welche Sportarten trotz des Skandals in Rio dabei sein sollen.

 

Dass das IOC den Bericht der WADA derart ignoriert und die WADA „overruled“, kommt einer unerträglichen und beispiellosen Desavouierung gleich, wobei die Leidtragenden einmal mehr die sauberen Sportler sind. Die Entscheidung des Hrn. Bach, dieser Personifikation aller klischeehaften negativen Eigenschaften eines Sportfunktionärs mit dem pathologischen Drang zur Selbstdarstellung auf Kosten des Sports, kommt einem Affront gegenüber all jenen Sportlern gleich, die sich tagtäglich im Training sprichwörtlich den Arsch aufreißen und sich über Jahre hindurch konsequent auf ihr großes Ziel Olympia vorbereitet haben. Auch die heute befragten österreichischen Sportler (z.B. der Schwimmer Felix Auböck im Interview auf ORF Sport+) brachten zum Ausdruck, dass sie sich durch diese Entscheidung betrogen fühlen.

 

Die mit wohlgesetzten Worten formulierten Sonntagsreden des IOC-Präsidenten hinsichtlich „zero tolerance“ gegenüber Doping im olympischen Sport entpuppen sich als leere Worthülsen, die jenen der schlimmsten Politiker der Welt um nichts nachstehen.

 

Praktisch alle internationalen Medien, Spitzensportler und Sportorganisationen bedauerten heute diese Entscheidung und zeigten sich zum Teil schockiert. Die angesehene FAZ in Deutschland, die lange Zeit hinter Bach stand, schreibt heute: "Mit ihrer Entscheidung, russische Athleten in Rio starten zu lassen, hat das IOC der Sportwelt einen schwarzen Sonntag beschert. Der Präsident und sein Kommitee fallen vor den Verrätern der olympischen Idee auf die Knie." Damit thematisierten die Medien auch die gar nicht in Abrede gestellte enge Freundschaft zwischen Thomas Bach und dem russischen Präsidenten Vladimir Putin. Die Mutmaßungen, dass entsprechend der langen Tradition hohe Geldbeträge, die von Moskau nach Lausanne (IOC-Sitz) transferiert wurden, eine erhebliche Rolle bei der Entscheidungsfindung gespielt haben könnten, sind aufgrund der historischen Vorfälle, wo sich das IOC als mindestens so korrupter Verein wie die FIFA oder die IAAF erwiesen hatte, nicht einfach zu entkräften.

 

In einem gemeinsamen Schreiben forderten u.a. die nationalen NADAs vieler Länder (darunter auch Österreich) den kompletten Ausschluss von Russland als wichtige Antidoping-Maßnahme, aber auch deren Meinung wurde ignoriert. NADA-Austria-Chef Cepic zeigte sich "maßlos enttäuscht".

 

Der Gipfel der unglaublichen IOC-Entscheidung: Julia Stepanova, die mit Hilfe des Journalisten Hajo Seppelt als Kronzeugin erst die Aufklärung des größten Sportskandals in der Geschichte ermöglicht hat und damit auch eine große persönliche Gefahr eingegangen ist (andere Mitwisser sind in Russland „zufällig“ in jungen Jahren plötzlich verstorben oder verunfallt…), wird für ihr couragiertes Verhalten nicht nur mit einem Olympiabann belegt, sondern unglaublich verhöhnt. Bach verbietet ihr zwar die Teilnahme an den Olympischen Spielen, lädt sie und ihren Mann aber zum Zuschauen nach Rio ein, wo sie dann vor Augen geführt bekommen soll, wie das internationale Antidoping-Bemühen den Bach hinuntergeht.

 

Der deutsche Anti-Dopingexperte Fritz Sörgel schreibt von einem "widerlichen, abgekarteten Spiel" im Handelsblatt. Fundierte Hintergrundberichte gibt es natürlich wieder bei Jens Weinreich, der davon schreibt, dass der IOC-Präsident "vor den Verrätern auf die Knie fällt".

Wie widersprüchlich und heuchlerisch die IOC-Entscheidung ist, zeigt auch der Umstand, dass alle russischen Leichtathleten (außer der Weitspringern Darya Klishina, die in Florida trainiert) von Rio ausgesperrt bleiben, dazu alle anderen russischen Sportler aus anderen Sportarten, die schon einmal eine Dopingsperre hatten (z.B. die Schwimmerin Yulia Efimova), nicht aber Sportler aus anderen Ländern, die zum Teil sogar schon mehrere Dopingsperren hinter sich haben, wie z.B. der US-Sprinter Justin Gatlin. Nicht nur der deutsche Leichtathletik-Verbandschef Clemens Prokop hält die IOC-Entscheidung für rechtswidrig: „Das ist eine Verletzung der Rechtsprechung des CAS und des Gleichheitsprinzips.“, siehe orf.at.Dazu muss angemerkt werden, dass der ÖLV als Folge der Dopingskandale in der Vergangenheit als einer der wenigen Verbände beschlossen hat, dass keine ÖLV-Athleten für Olympische Spiele nominiert werden, die jemals eine längere Dopingsperre (über 6 Monate) hatten. Eine ähnliche Entscheidung hat auch das ÖOC für seine Sportler getroffen, wobei diese Entscheidungen rechtlich auf etwas wackligen Beinen stehen. (siehe z.B. den Beitrag in der PRESSE)

 

Mittlerweile (Stand 26.7., 9:00) haben als erste Verbände der Tennisverband (die auch etwas Angst haben, dass die besten Tennisspieler Rio genau so wenig interessieren wird wie die Mehrzahl der besten Golfer), der Judoverband, der Verband der Bogenschützen und der Turnverband deren russischen Sportlern die Starterlaubnis für Rio gegeben.

 

Bedauern nun wirklich alle Sportorganisationen die "feige" Entscheidung von IOC-Präsident Bach?

 

Nein, es gibt ein paar Russland freundlich gesinnte "Schurkenstaaten", und wieder einmal zum Kopfschütteln ist das Verhalten des ÖOC, das eigentlich die Interessen der österreichischen Olympiasportler vertreten sollte. Deren Generalsekretär Peter Mennel zeigte sich heute mit der IOC-Entscheidung zufrieden, was ihm rundherum praktisch durchwegs verständnislose oder hämische Kommentare einbrachte.

 

Fritz Neumann schreibt heute im Standard: "Selten rief eine sportpolitische Entscheidung so viel Empörung hervor wie der Beschluss, Russlands Team trotz handfester Belege für staatlich gefördertes Doping an Olympia teilnehmen zu lassen. Österreich verhält sich wieder einmal klassisch, also österreichisch". Zum ganzen Beitrag im heutigen Standard.

 

Ist die Haltung des ÖOC Zufall, wo doch ÖOC-Präsident Karl Stoss selbst kurz vor seiner „Wahl“ ins IOC steht? Die Aufnahme dürfte nur mehr Formalität sein, jetzt sicherlich noch mehr, siehe HIER. Das ÖOC, das zuletzt wegen einiger fragwürdiger Olympianominierungen bzw. Nicht-Nominierungen in der Kritik stand, hat sich mit dieser Entscheidung in – leider – guter Tradition wieder einmal selbst übertroffen. Die neue Führung hat zwar nach der kriminellen Vorgeschichte (der frühere Generalsekretär Heinz Jungwirth sitzt nach rechtskräftiger Verurteilung wegen der Veruntreuung mehrerer Millionen für den Sport vorgesehener Mittel im Gefängnis) recht bemüht begonnen. Nun scheint man aber wieder in die fast systemimmanenten Fahrwässer der Sportpolitik im schlechtesten Sinne zu geraten, wo das eigene Machtstreben über die Interessen der Sportler gestellt wird. Das Verhalten des ÖOC gegenüber dem IOC und damit Putin ist hinsichtlich olympiareifer Mastdarmakrobatik kaum mehr zu übertreffen. Hier scheint Sportminister Hans Peter Doskozil gefordert, der einen überaus lukrativ aus öffentlichen Mitteln entlohnten Generalsekretär nicht tolerieren sollte, der mit seinem Verhalten indirekt die internationale Dopingbekämpfung sabotiert und den Sportlern in den Rücken fällt!

 

Jetzt kommen naturgemäß wieder viele Meinungen, wonach sowieso alle Spitzensportler gedopt sind und die aktuelle Diskussion nur von einseitiger Russophobie geprägt sei. Dem ist entgegen zu halten: realistische Schätzungen auf der Basis von konkreten Indizien und auch aufgrund von anonymen Befragungen (z.B. anlässlich der LA-WM 2011) gehen davon aus, dass 30 - 40% aller Olympiateilnehmer in irgendeiner Form "Dopingerfahrung" haben, was nicht bedeutet, dass sie bei Olympia gedopt antreten. In manchen Sportarten sind es etwas mehr, in anderen weniger, tendenziell in den Medaillenrängen natürlich etwas mehr. Die Behauptung, dass ALLE Spitzensportler dopen ist jedenfalls eine ungerechtfertigte Pauschalverurteilung und kommt immer nur von Menschen, die sich sehr oberflächlich mit der Materie beschäftigen.

 

Anm: für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung, bei diesem Thema fällt es aber schwer, emotionslos zu bleiben.

 

nochmal mein ZIB-24 Interview zum Thema. Wenn das Video in der TvThek nicht mehr verfügbar ist, dann hier auf YouTube.

Artikel in der FAZ

Beitrag gestern im STANDARD

Videokommentar von Hajo Seppelt zur IOC-Entscheidung auf ARD

Kommentar und Stellungnahmen von deutschen Sportlern in der BILD
"Kämpfer gegen Doping entsetzt" auf orf.at

Österreichs Sportler: "shame on you!" auf orf.at
Diskus-Weltmeister Robert Harting war immer schon Klartextsprecher. In der FAZ: "Bach war Teil des Doping-Systems" und "das ist jetzt eine neue Enttäuschungs-Dimension"

Kommentar in der ZEIT, insbesondere zu Stepanova "Mehr Hohn geht nicht"
Zumindest in Deutschland gibt es auch Sportfunktionäre mit Charakter:

Der Kommentar des Sportrechtlers Peter Lehner dazu:

Kommentar des deutschen Lauf-Erfolgstrainers Kurt Ring dazu:

Interview mit der NADA-Chefin Deutschlands, Andrea Gotzmann

Auch Heike Henkel bezieht klar Stellung, wobei sich bis jetzt eigentlich kein Spitzensportler gefunden hat, der die Entscheidung des IOC (und des ÖOC) begrüßt - außer jenen aus Russland

 

letztes update: 29.7.

Jens Weinreich: "Sportkameraden Lamine Diack (unter Hausarrest), Scheich Ahmad (verklagt im Emirat Kuwait), Thomas Bach" (Foto: ANOC)
Jens Weinreich: "Sportkameraden Lamine Diack (unter Hausarrest), Scheich Ahmad (verklagt im Emirat Kuwait), Thomas Bach" (Foto: ANOC)