ÖLV: der Präsident ist weg, aber wie geht's jetzt weiter?

Ralph Vallon hier beim "Athletics Award" am 29.2.2016, wo er sich (neben Coe und Weißhaidinger) stolz mit Jennifer Wenth präsentierte, die er dann ein paar Monate später als "weit von der internationalen Klasse entfernt" einstufte. Foto: ÖLV
Ralph Vallon hier beim "Athletics Award" am 29.2.2016, wo er sich (neben Coe und Weißhaidinger) stolz mit Jennifer Wenth präsentierte, die er dann ein paar Monate später als "weit von der internationalen Klasse entfernt" einstufte. Foto: ÖLV

Wie die interimistisch verantwortliche Präsidentin Sonja Spendelhofer im ersten ORF-Interview vollkommen richtig gemeint hat („… Ich möchte mit viel Menschlichkeit und Empathie alle wieder ins Boot holen …“), geht es nun darum, wieder Ruhe und Frieden in den Verband zu bringen, wo sich zuletzt nur mehr feindselig gestimmte Fronten gegenüberstanden und nur bedingt im Interesse des Sports gehandelt wurde. Es geht jetzt darum, persönliche Interessen und Eitelkeiten hintanzustellen und menschliche Größe zu zeigen. Das schließt ein, dass nicht die „Angst vor Gesichtsverlust“ darüber entscheidet, welche Entscheidungen der letzten Monate und Jahre als unumstößlich betrachtet werden. Menschliche Größe bedeutet, vielleicht aus vermeintlich notwendiger Loyalität getroffene Entscheidungen zu revidieren und Fehler der Vergangenheit einzugestehen.

 

Es kann jedenfalls nicht sein, dass eine Person im Zuge eines Rücktritts sozusagen als Abschiedsgeschenk „personelle Weichenstellungen“ betreibt, die im Prinzip die Fortschreibung eines falschen Weges und die rücksichtslose Umsetzung eines schädlichen „Freunderlwirtschafts-Systems“ bedeuten. Das käme einem Vermächtnis im schlechtesten Sinne gleich. Auch der ORF-Beitrag am Tag der PK hielt in der Anmoderation fest: „… personelle Strukturänderungen im Verband hatten für viel Kritik am Präsidenten gesorgt.“ Diese Kritik kann durch den Rücktritt einer Person nicht entkräftet werden.Es darf auch nicht sein, dass Ralph Vallon seine Funktionen in der BSO behält und damit sozusagen in der dem ÖLV übergeordneten Instanz weiter tätig ist und entsprechend Einfluss ausüben kann. Wenn er nicht selbst entsprechende Konsequenzen zieht, sollten das zumindest die BSO-Verantwortlichen (oder gibt’s die BSO gar nicht mehr? ;-) ) tun.

 Ein komplettes Konzept für einen ÖLV-NEU würde hier sicherlich den Rahmen sprengen und wäre nur dann seriös, wenn die maßgeblichen und erfahrenen Personen sich entsprechend und ergebnisoffen einbringen. Hinsichtlich personeller Aufstellung kann aber jetzt schon festgehalten werden: ein Unternehmen – und ein moderner Sportverband ist diesem gleichzusetzen – funktioniert am besten, wenn jeder in dem Bereich eingesetzt wird, den er am besten beherrscht und entsprechende Teamfähigkeit mitbringt. Genau diese Anforderung wurde mit den Entwicklungen der letzten Jahre absolut nicht erfüllt, wo es offensichtlich primär um Absicherung von Machtpositionen und dem Unterdrücken kritischer Stimmen ging.

 

Ein neuer Präsident (oder natürlich eine neue Präsidentin, auch jetzt verzichte ich in weiterer Folge aufs gendern) muss sich sein engstes Team selbst aussuchen können und darf nicht gezwungen werden auf Basis des Vallon-Vermächtnisses und dessen Freundeskreises in seinem Handeln eingeschränkt und gelenkt zu werden. Da bei der Rücktritts-Pressekonferenz auch in den ÖLV-news dazu einige Namen im Zusammenhang mit bestimmten Funktionen genannt wurden, möchte ich darauf etwas eingehen.

 

Die oben verwendete Formulierung „… wenn jeder in dem Bereich eingesetzt wird, den er am besten beherrscht“ widerspricht m.E. ganz klar den per ÖLV-news und Presseaussendung gemachten Ankündigungen.

 

Gregor Högler ist sicherlich ein ganz hervorragender Analytiker im Bereich Diskus- und Speerwurf, wo er gewiss zu den besten Trainern im europäischen Bereich gehört. Er ist ein akribischer Arbeiter (nicht nur, weil er mit ca. 4 Stunden Schlaf pro Tag auskommt) und kann fachlich unschätzbar viel einbringen. Aber in einer übergeordneten Funktion, wo es auch um die Koordinierung aller Disziplingruppen geht, ist er nicht optimal eingesetzt. Er hat u.a. zum Laufbereich so gut wie keinen Bezug (bezeichnende Anekdote: er warf den Staatsmeister über 3000m Hindernis und U 20 EM Finalisten mit den Worten aus „seiner“ Halle in der Südstadt: „Das ist nur für richtige Sportler gedacht.“). Mein letztes persönliches Gespräch mit ihm war am Rande der Team EM 2014 in Riga, wo er mich zum Rapport zitierte und heftig angriff, weil ich es gewagt hatte zu sagen (eine Tatsache): „Wenn die anderen Disziplingruppen auch so viele Punkte wie die Läufer gemacht hätten, würden wir jetzt aufsteigen.“ Högler ist sicher als Trainer eine gute Ergänzung im Team um Lukas Weißhaidinger, aber der bescheidene Josef Schopf hat den Athleten von jungen Jahren an fachlich und menschlich perfekt begleitet und letztes Jahr bis in die absolute Weltklasse geführt. Dieses funktionierende System darf nicht zerstört werden. Entscheidend ist immer, dass das Vertrauensverhältnis Athlet-Trainer nie gestört werden darf, da reichen mitunter schon divergierende Aussagen zu technischen Feinheiten, die verunsichern können. Jeder verantwortungsbewusste Trainer wird sowieso offen und lernwillig sein, um ständig aktiv nach jeder fachlichen Unterstützung zu suchen.

 

Somit: wenn nun Hannes Gruber sozusagen als „Sportkoordinator“ der administrative Assistent eines Sportdirektors Gregor Högler sein soll, ist das genau der verkehrte Weg! Hannes Gruber ist nicht nur der ÖLV-Mitarbeiter mit der größten Erfahrung, war jahrzehntelang bei allen wichtigen nationalen und internationalen Meisterschaften dabei, hat einen guten Überblick über alle Disziplingruppen und kann entsprechend auch Leistungen einschätzen, sondern kennt und „kann“ mit allen Leuten von der Basis in Österreich bis hin zu Funktionären und Trainern auf internationaler Ebene. Alle, die mit ihm zu tun haben, wissen dass er absolut zuverlässig ist und auch immer – ganz schwierig! – einen guten Ausgleich unterschiedlicher Interessen geschafft hat. Deshalb sollte Hannes Gruber unbedingt weiterhin die Funktion eines Sportdirektors (oder wie auch immer die Position in einem ÖLV-NEU genannt wird) ausüben.

 

Auch Philipp Unfried wird überall aufgrund seiner fachlichen Qualitäten im Hürden- und Sprintbereich geschätzt. Es hat schon einen Grund, weshalb Beate Schrott mit ihm als Trainer ins Olympiafinale 2012 kam und er im gleichen Jahr zum „Trainer des Jahres“ (also über alle Sportarten hinweg) in Österreich gewählt wurde. Eine Degradierung zum Stützpunkttrainer in St. Pölten (mit dem Hauptgrund, weil Högler sich auch mit ihm zerkracht hat) ist eine strafwürdige Ressourcenvergeudung.

 

Högler hat nach den Olympischen Spielen Ivona Dadic quasi fallengelassen> (auch völlig überraschend für Ivona selbst), weil er nun seinen Namen im Zusammenhang mit dem überaus erfolgreichen Lukas Weißhaidinger genannt haben möchte. Dadic hat daraufhin unmittelbar über den ÖLV beim HSZ um Versetzung von der Südstadt (wo die meisten Millionen des Bundes hineinfließen und der ÖLV den Großteil der personellen und finanziellen Mittel konzentriert) nach Linz angesucht, wo sie sich besser betreut fühlt. Ivona Dadic ist das beste Beispiel für einen „overcoached“ Athleten, bzw. wie viele Köche den Brei verderben können und v.a., dass ausländische Trainer eher in Ausnahmefällen das Allheilmittel sind. Sie belegte als 18-Jährige unter der Führung von Trainer Wolfgang Adler bei den Olympischen Spielen in London den damals hervorragenden 25. Rang im Siebenkampf, 4 Jahre später in Rio belegte sie mit einem großen und in der Vorbereitung mehrfach wechselnden Trainerteam Rang 21. An ihre 800m-Zeit und ihre Hochsprungleistung aus dem Jahr 2012 ist sie nie wieder herangekommen.

 

Ich werde nie vergessen, wie anlässlich der ÖLV-Athletenehrung 2012 der Hauptsponsor der ungemein talentierten Ivona Dadic die Laudatio hielt und in Anwesenheit von Wolfgang Adler davon sprach, dass er „besonders den konsequenten und mutigen Weg von Ivona Dadic bewundert, dass sie jetzt ins Ausland zu einem richtigen Trainer geht“. Der weitere Verlauf ist bekannt. Das Training in Großbritannien beim Startrainer hat ihr sportlich außer Verletzungen nicht viel gebracht, sie hat praktisch zwei Jahre verloren. Der ausländische Trainer (mitfinanziert aus österreichischen Mitteln) hat ihr u.a. die Teilnahme an der WM 2013 untersagt, obwohl sie knapp davor Rang 5 bei der U- 23 EM holte. Auch wenn jetzt wieder von höchsten Stellen gefordert wird „Athleten müssen ins Ausland gehen“ und „wir müssen ausländische Trainer nach Österreich holen“: obwohl schon viele Athleten den Weg ins Ausland gegangen sind, mir ist kein Fall bekannt, wo sich ein Österreichischer Leichtathlet im Ausland tatsächlich verbessert hätte, und auch kein ausländischer Trainer hat jemals Wunderdinge (auf legalem Weg …) vollbracht.

 

Das ist die passende Überleitung zur nächsten Baustelle. Wie verlautet, wird (v.a. von Gregor Högler) angedacht, dass die frühere sowjetische (und später ukrainische) Hochspringerin Inga Babakova neue Cheftrainerin (als Nachfolgerin von Philipp Unfried) werden soll. Bislang scheitert es noch an der Aufenthaltsbewilligung für Österreich.  (Anm: angeblich ist sie nach aktueller Info jetzt direkt beim ÖOC angestellt und hat eine Aufenthaltsbewilligung, wobei ich das nicht überprüft habe) Babakova war eine der erfolgreichsten Hochspringerinnen (Weltmeisterin und Olympiadritte) und ist seit einigen Jahren auch als Hochsprung-Trainerin in der Ukraine tätig. Über Vermittlung von ÖOC-Generalsekretär Peter Mennel kam sie mit dem ÖLV in Kontakt. Schon für die EM in Amsterdam wurde sie direkt aus Odessa eingeflogen, um Ivona Dadic beim Hochsprung Tipps zu geben. Die Verwunderung bei vielen ÖLV-Teammitgliedern war ziemlich groß als Babakova sogar für den ÖLV für die Olympischen Spiele akkreditiert wurde und einen der knappen Betreuerplätze einnahm. (ÖLV-Cheftrainer Philipp Unfried wurde hingegen für Weißrussland akkreditiert, weil er damals noch Alina Talay betreute.)

 

Eine Weltmeisterin im Hochsprung hat zweifelsohne hohe Kompetenz in dieser Disziplin, wobei das noch lange nicht bedeutet, dass damit automatisch herausragende Trainer-Qualitäten verknüpft sind. Aber als disziplinübergreifende Cheftrainerin im ÖLV sind doch weiterreichende Qualifikationen und Erfahrungen notwendig. Man braucht v.a. einen guten Überblick über die Basis und muss mit den entsprechenden Leuten „können“ und diese kennen. Sogar Jürgen Mallow ist als Deutscher – nicht nur aufgrund der sprachlichen Barriere ;-) – letztlich in Österreich gescheitert, obwohl er fachlich in allen Disziplingruppen sehr gut bewandert war, aber die österreichische Mentalität und die Strukturen kann man eben nicht im Schnelldurchgang lernen. Ein nicht ganz unwichtiger Aspekt ist auch, dass Athleten aus dem früheren sowjetischen/russischen Raum aus bekanntem Grund immer eher vorsichtig eingeschätzt werden sollten.

 

Ich lehne mich jetzt etwas aus dem Fenster und behaupte, dass für die Funktion eines Cheftrainers z.B. ein Herwig Grünsteidl hervorragend geeignet wäre. Er ist fachlich top, betreut den besten Zehnkämpfer des Landes, war selbst ein guter Mittelstrecker und bringt v.a. die notwendigen menschlichen Qualitäten mit, die ihn mit allen Trainern und Athleten gut zusammenarbeiten lassen.

 

Auf Funktionärsebene spielt Helmut Baudis als Generalsekretär eine zentrale Rolle. Er hat sich in seinen schwierigen Job schnell und sehr gut eingearbeitet und kennt die Strukturen im österreichischen Sport, die wichtigsten Gremien (samt Personen) und auch die Fördermittel-Bestimmungen wie kein anderer. Er hat sich – wohl nicht ganz freiwillig – für die Vallon’schen Machtspielchen offensichtlich etwas instrumentalisieren lassen und es kam zunehmend zu einer Vermischung von administrativen und sportlichen Entscheidungen. Aber auch seine Erfahrung ist für den ÖLV in der gegenwärtigen Situation unschätzbar, es liegt nur am richtigen Präsidenten, der die Linie und die Handlungsspielräume klar vorgeben muss und in Übereinstimmung mit den Statuten auch den Ausgleich zwischen den Landesverbänden schafft.

 

Für den Präsidenten selbst werde ich derzeit sicher keinen Namensvorschlag machen, ich will ja einem konkreten, potenziellen Kandidaten nicht schaden. Jedenfalls ist beim gesamten neuen Team darauf Bedacht zu nehmen, dass die Gelegenheit genutzt wird, etwaige bestehende "Altlasten“ hinsichtlich Dopingvergangenheit (in welcher Form auch immer) kompromisslos zu entfernen. Mir vorliegende Aussagen in dieser Richtung werde ich bei Gelegenheit (und Überprüfung) thematisieren.

 

Es bleibt jedenfalls weiter spannend beim ÖLV. Da ich selbst in unterschiedlichen Funktionen fast 30 Jahren im und für den Verband tätig war, schmerzen mich wie alle jene die Entwicklungen der letzten Jahre, deren Herzblut an der Leichtathletik hängt. Aber vielleicht ist sind die aktuellen Veränderungen in erster Linie eine große Chance, die für den Sport genützt werden kann.