Das Sportprogramm der neuen Regierung - eine erste Einschätzung

Habemus Sportminister! Habemus Sportprogramm!

 

Gestern wurde das neue Regierungsteam vorgestellt und auch ein ziemlich umfangreiches Regierungsprogramm (183 Seiten) präsentiert.

 

Der Sport, der in den letzten Jahrzehnten wie ein Wanderpokal - oder wie eine heiße Kartoffel? -  von einem zum anderen Ministerium herumgereicht wurde, bekommt bei der Neu-Zusammensetzung der Ministerien wieder einen neuen Platz: raus aus dem Verteidigungsressort, hin zum Vizekanzler. Das kann nicht nur formell durchaus eine Aufwertung bedeuten, zur Verteidigung passte der Sport (einziger Bezug: Sportler beim HSZ) sowieso überhaupt nicht. Er war ein Anhängsel und der breite Bereich des Gesundheits- und Hobbysports wirkte dort wie ein Fremdkörper.

 

Nun ist der Sport beim Vizekanzler quasi Chefsache, das eröffnet zweifelsohne gewisse Chancen, was beim durch Jahrzehnte vom  Proporz nach alter Farbenlehre geprägten organisierten Sport in Österreich durchaus zu mittleren Panikattacken führen könnte.

 

"Mut zur Veränderung" ist wohl kaum woanders so wichtig wie im Sport.

 

Österreich hat die kompliziertesten, teuersten und ineffizientesten Sportstrukturen der Welt mit dem größten parteipolitischen Einfluss. Es gibt viele parallel agierende Institutionen, von den durchaus üppigen öffentlichen Sportförderungsmitteln kommt nur ein Bruchteil beim richtigen Empfänger an. Jede "Strukturreform" vergangener Minister führte letztlich zu einer weiteren Verkomplizierung und zu einer neuen, teuren Organisation, zuletzt auch zur neuen "Bundes-Sportförderungs GmbH" als Doskozil-Erfindung.

 

Hier wurden vom Ministerium alleine für die Suche des Geschäftsführers, dem ein Bezug in der Nähe eines Ministergehalts garantiert wird, € 26.000.- ausgegeben und letztlich zählten im Widerspruch zur Minister-Garantie fachliche Kriterien praktisch gar nicht. Dafür waren Interventions-Versuche eines großen Wintersport-Verbandes offensichtlich erfolgreich. Als Versinnbildlichung des Scheiterns des eigenen Minister-Anspruchs wurde Promi Armin Assinger als Aufsichtsratsvorsitzender installiert und der Geschäftsführer kann ohne Zustimmung der mit den üblichen Verdächtigen (Schröcksnadel, Stoss, ...) besetzten Gremien gar keine Förderentscheidung treffen. Ob die als Doskozil-Vermächtnis am 1.1.2018 per Gesetz in Aktion tretende GmbH lange agieren darf, ist fraglich. Hoffentlich nicht.
Ergänzung: zu diesem Thema (Doskozil-GmbH) hat der Journalist Johann Skocek hier sehr gut analysiert.

 

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Das Gesetz zum Rauchverbot in der Gastronomie kommt nicht - müssen wir uns das gefallen lassen?

 

Das Sterben von Kurt Kuch und vieler anderer zählt für unsere Politiker also nicht. Österreich bleibt hinsichtlich Nichtraucherschutz ein Entwicklungsland sondergleichen und peinliches Schlusslicht in ganz Europa.

 

Die Nikotinabhängigen haben sich durchgesetzt gegen "Mut zur Veränderung". Man könnte über diese klassisch österreichische "Lösung" ja fast lachen, wenn es nicht eine dramatisch wichtige Aufgabe der Politik wäre, dafür zu sorgen, dass die Zahl von 14.000 Menschen, die an den Folgen des Rauchens jedes Jahr in Österreich sterben (ca. 50 x so viele wie im Straßenverkehr) - dazu ca. 1000 "unschuldige" Passivraucher - endlich geringer wird.

 

Ein konsequentes Rauchverbot in der Gastronomie hätte nicht nur dem Nichtraucherschutz und dem Schutz der Arbeitnehmer gedient (pervers: unter18-Jährige dürfen nicht rauchen (haha Kontrolle...), aber 15-Jährige Kellnerlehrlinge werden dem Rauch ausgesetzt), sondern es geht auch darum, die "Verlockungen" des Rauchens v.a. für Jugendliche möglichst gering zuhalten und für jenen großen Teil der Raucher, die eigentlich aufhören möchten, bzw. die Hemmschwelle etwas zu erhöhen. Rauchmöglichkeiten in der Gastronomie tragen sicherlich nicht dazu bei, sondern führen eher dazu, dass der extrem hohe Anteil an jugendlichen Rauchern in Österreich weiter hoch bleibt. Prävention schaut anders aus, rational begründete Sachpolitik anhand wissenschaftlich gesicherter Fakten ebenso.

 

Die nun getroffene Entscheidung ist zudem wirtschaftlich unvernünftig, da alle wissen, dass die Behandlungskosten von Raucher-Erkrankungen ein Vielfaches der Einnahmen aus der Tabaksteuer betragen. Das oft angeführte Argument der "Einschränkung der persönlichen Freiheit" ist in diesem Fall einfach dumm. Die gleiche "Einschränkung" gibt's übrigens auch bei der Gurtenpflicht und eigentlich auch im Strafrecht bei den Bestimmungen zur (fahrlässigen) Körperverletzung, mitunter mit Todesfolge.

 

Das manchmal in der Diskussion ins Treffen geführte "Wirtesterben" ist noch nirgends auf der Welt im Zuge des Rauchverbots in der Gastronomie jemals tatsächlich eingetreten. Wenn ein paar nikotinabhängige Raucher ausbleiben, kommen stattdessen Nichtraucher (mit Familie), die bisher entsprechende Lokale gemieden haben, weil die Trennung in der Praxis fast nirgends funktioniert.

 

Ein trauriger Tag für Österreich. Die Enttäuschung ist wohl nicht nur bei mir groß.

 

Sollen wir uns das gefallen lassen? Kann Politik viel mehr Schadenanrichten als Menschenleben mutwillig zu gefährden und mitschuldig sein am tausendfachen Tod und Elend???

 

PS: diese Stellungnahme hat nichts mit einer parteipolitischen Präferenz zu tun, dafür ist das Thema zu wichtig und übergreifend. Es haben schließlich auch andere Parteien in Österreich bisher viel zu wenig weitergebracht bei diesem Thema.

Sport? Wohin damit? Wer will??? - Koalitionsverhandlungen bleiben spannend.

Der Sport ist heimischen Sportpolitikern immer dann wichtig, wenn sie medienwirksam einem Sportler, zu dessen Erfolg sie eigentlich nichts beigetragen haben, auf die Schulter klopfen können.

 

Sonst ist es schon Tradition, dass keine Partei ein Konzept für den Spitzen- und Gesundheitssport vorweisen kann, und bei Regierungsverhandlungen stellt der Sport eine eher unliebsame Randerscheinung dar und wird als ungeliebter Wanderpokal hin- und hergeschoben. Genauso ist es Tradition, dass nach all den ca. 20 großartigen Reformen der Sportstrukturen der letzten Jahrzehnte danach alles noch komplizierter, teurer, ineffizienter, der parteipolitische Einfluss immer größer und die Transparenz immer geringer wurde.

 

Im Bundes-Sportförderungsgesetz 2013 stand (sinngemäß): „Der Sportminister hat eine Transparenzdatenbank einzurichten, wo alle staatlichen Förderungen aufscheinen.“ Der aktuelle Minister hat diese Anforderung nie erfüllt. Die (österreichische) Lösung: im BSFG 2017 steht nichts mehr von dieser Forderung, sie wurde einfach rausgelöscht. Dafür wurde jetzt eine neue, teure Bundes-Sportförderungs-GmbH eingerichtet, wo nach „massiven Interventionen“ eines sehr bekannten Verbandes Armin Assinger als Aufsichtsratschef und ein ehemaliger pflegeleichter Tennisspieler ohne einschlägige Qualifikation als Geschäftsführer eingesetzt wurde.

 

Von den aktuellen Koalitionsverhandlungen der Gruppe „Sport“ wurde mir zugetragen, dass "man über Überschriften eigentlich nicht hinausgekommen sei, ein ehemaliger Schirennläufer nur G'schichteln aus dem Schisport erzählte“ und sonst die üblichen verdächtigen Systembewahrer aus politischen Vorfeldorganisationen jeden wirklichen Reformansatz sofort im Keim erstickten. Das Einzige, worüber man sich eigentlich verständigte: die erst vor ein paar Wochen vom Noch-Minister gegründete Bundes-Sportförderungs-GmbH soll gleich wieder aufgelöst werden (noch nicht ganz fix).

 

In den Medien wurden in den letzten Wochen fast täglich neue „fixe“ Ministerlisten kolportiert. Nach aktuellem Stand würde Heinz-Christian Strache als „Heimatschutzminister“ auch das Verteidigungsressort übernehmen. Nicht bekannt (und von keinem Medium thematisiert) ist, ob er sich der Tatsache bewusst ist, dass derzeit der Sport im Verteidigungsministerium irgendwie mitläuft. Strache als Sportminister ist aber selbst für seine Parteikollegen schlecht vorstellbar und der Zuständigkeitsumfang wäre wohl etwas zu groß. Deshalb bietet sich als realistische Alternative ein eigenes Sportstaatssekretariat unter der Führung von FP-Sportsprecherin Petra Steger an, womit die Frauenquote in der Regierung auch etwas mehr erfüllt wäre. Ohne die politische Tätigkeit werten zu wollen, Petra Steger (aktive Basketball-Leistungssportlerin) hat zumindest engen praktischen Bezug zum Sport.

 

Wenn es soweit kommt, würde sich zumindest nicht jene Situation wiederholen wie einst bei einem ehemaligen Wiener „Sportstadtrat“, der im Zuge seiner Angelobung darauf hingewiesen wurde, dass er nun auch eigentlich für den Sport zuständig sein. „Aso?“ – das Ergebnis ist bekannt.

Aber warten wir ab...

 

Anm: Ich weise wieder darauf hin, dass mir meine parteipolitische Unabhängigkeit viel bedeutet und ich mich nicht - von welcher Seite auch immer - vereinnahmen lasse.

Australien - eine kleine subjektive Kostprobe

Von 29.9. bis 29.10. war ich mit Manuela Wally in Australien, beim Rückflug waren noch zwei Tage Stopover in Singapur der Abschluss einer eindrucksvollen Reise.

 

Vier Wochen Australien ist einerseits eine lange Zeit, andererseits aufgrund der Dimensionen auch recht wenig, sodass ich höchstens ein paar „Stichproben“ nehmen konnte. Ich nehme keinesfalls für mich in Anspruch jetzt der große Australien-Experte zu sein, aber ein paar subjektive Eindrücke gebe ich gerne wieder. Wir bereisten in diesen Wochen nur die südöstliche Ecke des riesigen Landes, davon verbrachten wir eine Woche in Tasmanien. Wir besuchten große Städte in dieser Gegend, waren aber mehr angetan von der vielfältigen und großteils einsamen Natur am anderen Ende der Welt. Wie viel von Australien „noch übrig“ ist, kann man an der Karte erkennen. Rot eingezeichnet ist unsere Reiseroute (mit dem Mietauto), die blauen Linien sind die Flüge. Mehr wars nicht.

 

Beeindruckende Dimensionen

 

Australien ist fast hundertmal so groß wie Österreich, hat aber nur ca. dreimal so viele Einwohner, wovon rund 5 Millionen in der größten Stadt (Sydney) leben. Die durchschnittliche Bevölkerungsdichte liegt bei rund drei Einwohnern pro Quadratkilometer (in Österreich sind es 105/km²), es gibt allerdings große Landesteile v.a. im Innenland, die praktisch unbewohnt sind. Es gibt also rund 24 Millionen Menschen, 50 Millionen Kängurus und 74 Millionen Schafe auf diesem Kontinent. Aber auch in grundsätzlich sehr lebensfreundlichen Gegenden (Klima, Vegetation, sonstige Rahmenbedingungen) wie einem großen Teil Tasmaniens leben für europäische Verhältnisse (noch) sehr, sehr wenige Menschen. Es gibt noch immer viel Platz in Australien, sehr viel Platz.

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#breaking2 - ein gescheiterter "Weltrekordversuch" oder was am Ende des Tages übrigbleibt...

Respekt vor der Print-Ausgabe der "Krone" vom Sonntag. Eigentlich alles auf den Punkt gebracht.
Respekt vor der Print-Ausgabe der "Krone" vom Sonntag. Eigentlich alles auf den Punkt gebracht.

#breaking2 – was am Ende des Tages übrig bleibt

 

42,195km laufen in 2:00:25, also rund zwei Stunden lang mit ca. 2:51/km – das war eine herausragende Leistung von Eliud Kipchoge, der sich (im Gegensatz zu den anderen beiden Teilnehmern) in absoluter Topform präsentierte. In dieser Verfassung hätte er – auch wenn sehr spekulativ – auch einen „richtigen“ Weltrekord im Rahmen eines Marathons erzielen können.

 

Die Interpretation dieser Leistung bleibt jedem selbst überlassen. Man könnte einerseits schlussfolgern: der Versuch ist gescheitert, nicht einmal durch Ausreizen aller Möglichkeiten und unter Missachtung fast aller Regeln kann ein Mensch einen Marathon unter 2 Stunden laufen. Auf der anderen Seite kann man festhalten: wenn man Windschatten-Effekte bestmöglich ausnützt, die Verpflegung jederzeit ohne Einschränkungen (lt. IAAF-Reglement nur alle 5km) und Strecke/Bedingungen perfekt sind, so bringt das gegenüber einem „normalen“ Marathon nochmal zwei bis drei Minuten –allerdings nur bei einem sehr hohen Tempo von 20 – 21km/h, bei den Frauen wäre es schon deutlich weniger. Wenn die Behauptung stimmt, dass die verwendeten Laufschuhe „Karbon-Federelemente“ enthalten, dann sind diese entsprechend der geltenden Regeln ebenfalls illegal.

 

Er war knapper an der 2:00-Marke als ich gedacht hatte und es war spannend. Wer es live verfolgt hat (ich habe den Großteil live gesehen und gehört), hat sich vielleicht so wie ich gewundert, welche Begräbnisstimmung nach dem Zieleinlauf herrschte, weil das erklärte Ziel – eben 25 Sekunden schneller zu laufen – nicht erreicht wurde. 1:59:59 wäre die Weltsensation gewesen und ein paar Sekunden langsamer in einem Freiluft-Laborversuch führt zu offensichtlicher tiefer Enttäuschung und Depression? Wie pervers!

 

Ist das Streben nach einem künstlich hoch stilisierten „Rekord“ oder das Brechen einer „Schallmauer“ tatsächlich so wichtig?

Die Bedeutung von (Welt-)Rekorden ist für Athleten und Trainer im Spitzensport sicherlich wesentlich geringer als bei Journalisten, Sponsorfirmen und der breiten Masse der eher passiven Sportkonsumenten, die Rekorde, brutale Stürze oder zumindest blutige Nasen sehen wollen. Auch für Kenianer zählt ein Sieg beim London-Marathon wesentlich mehr als ein Weltrekord. Gerade beim Marathon, wo der Weltrekord und Leistungen aufgrund immer unterschiedlicher Strecken- und Wetterbedingungen (sowie Läuferfelder, etc.) nie direkt vergleichbar sind, rückt für die Aktiven das Rekordstreben in den Hintergrund – wenn man einmal von den ausgelobten Rekordprämien absieht. So wäre eine Zeit von 2:05 vor zwei Wochen beim VCM sicherlich sportlich wertvoller gewesen als der aktuelle Weltrekord in Berlin bei optimalen Bedingungen. Ich persönlich hätte Eliud Kipchoge lieber beim London-Marathon im spannenden Wettstreit gegen die anderen besten Läufer der Welt gesehen als bei einem Versuch mit drei Läufern einer Firma, wo die anderen ausgeschlossen waren (übrigens auch wie „normale“ Zuschauer, es wurden nur Geladene zugelassen).

 

Das Set-Up, das Marketing und die Art der Live-Übertragung dieses „Laborversuches“ (hätte genauso gut von einer anderen Firma sein können) erinnerte sehr stark an Felix Baumgartners Stratosphären-Plumpser. Die Leistungen der beiden Männer darf man eigentlich nicht in einem Atemzug nennen, denn die sportliche Leistung von Kipchoge war phänomenal, während die Aktion von „All-Felix“ mit Sport nichts zu tun hat. Der gemeinsame Nenner war, dass sich Marketing-Strategen von Markenherstellern akribisch überlegt haben, wie sie eine Dauerwerbesendung als sportlichen Bewerb tarnen können. Es würde mich nicht wundern, wenn der nächste „Rekordversuch“ von Red Bull kommt, und das dann ohne Kompromisse…

 

Die TV-Kommentatoren waren über weite Strecken eher peinlich, stilisierten die Veranstaltung mit typisch amerikanischem Pathos u.a. „zu einer der größten menschlichen Errungenschaften seit der ersten Mondlandung“ hoch, faselten irgendwelche Trainings-Allgemeinplätze oder versuchten gewaltsam hochwissenschaftliche Theorien einer eigentlich simplen Tätigkeit aufzupfropfen. Das meinte ich bei meinem Facebook-Posting mit „für die Dummen“. Ebenso, wenn PR-Aussendungen der Veranstalter praktisch 1:1 von Agenturen und Medien wiedergegeben werden, wie z.B. „Ein Ärzte- und Wissenschaftsteam begleitete die Ausdauerspezialisten auf Fahrrädern“ (Die Presse).

Wozu Ärzte auf Fahrrädern? Weil eine plötzliche Erkrankung drohte und einer der fittesten Menschen des Planeten plötzlich zusammenbrechen könnte? „7 Monate gezielte Vorbereitung, ein großes Team von Medizinern (!) und Sportwissenschaftlern, Kosten von ca. € 30 Millionen“ – so wurde uns berichtet. Insbesondere das „große Team von Medizinern“ finde ich ziemlich bedenklich. Mediziner haben gelernt, wie man kranke Menschen repariert, engagieren sich manchmal (auch wenn es leider geschäftsschädigend ist) im Bereich der Vorsorge, aber top-fitte Menschen noch leistungsfähiger zu mache, das ist sicher nicht die Kernkompetenz von Medizinern, solange alles hinsichtlich Antidoping-Bestimmungen legal abläuft. Um das klarzustellen: es gab und gibt niemals Hinweise, dass Eliud Kipchoge irgendetwas mit Doping zu tun hat, eine herausragende Leistung ist dafür jedenfalls kein Indiz! Lediglich das Umfeld des Organisators, insbesondere mit Trainer Alberto Salazar (nicht der persönliche Trainer von Kipchoge), der seinen eigenen Sohn für Testosteron-Experimente missbrauchte und der wegen (eigentlich klar verbotener) Infusionen, die er seinen Athleten verabreichte, seit Jahren (zu Recht) in der Kritik steht, ergibt ein bedenkliches Gesamtbild.

 

Wer zu Doping greift, entscheidet das irgendwann mehr oder weniger rational durch Abwägen der möglichen Vorteile gegenüber den Folgen des Erwischtwerdens (die ohne Strafrecht für Doper eher lachhaft sind). Voraussetzung ist jedenfalls eine gewisse Dopingmentalität, d.h. die Bereitschaft, bestimmte Regeln auf der Suche nach dem Erfolg zu umgehen. Das dem Sport eigene „fair play“ unterscheidet ihn entscheidend von anderen Gesellschaftsbereichen und das sollte trotz aller (notwendigen) Kommerzialisierungsbestrebungen immer erhalten bleiben. Verantwortungsbewusste Eltern müssen weiter froh sein können, wenn die Kinder im positiven Umfeld eines Sportvereins integriert sind, der die Ideale eines positiven (und gesunden) Gesellschaftsentwurfes hochhält. #breaking2 hat wahrscheinlich nicht direkt etwas mit Doping zu tun, erfüllt aber leider alle Kriterien zur Entwicklung einer Dopingmentalität. Nennt mich ruhig naiv, aber: schneller, höher, weiter – egal wie und mit welchen Mitteln - das ist nicht die Richtung, in die sich der Sport entwickeln sollte wenn er sich nicht selbst abschaffen möchte, und die Protagonisten sollten sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sein.

 

Immer wieder betont wurden die akribischen (sport-)wissenschaftlichen Vorbereitungen der Läufer, wo man den Zuschauern irgendetwas vorgaukelte. Jeder, der längere Zeit in Kenia verbracht hat und weiß, wie das Training dort abläuft und wie die Umfeldbedingungen sind, weiß auch, wie sich die Kenianer höchstens amüsieren über unsere (oftmalige) Pseudo-Wissenschaftlichkeit. Es war primär eine Unterhaltungsshow oder meinetwegen ein fragwürdiges sportwissenschaftliches Experiment (weil keinerlei wissenschaftliche Kriterien eines Versuchs erfüllt waren), nicht viel anders als „Dancing Stars“ oder „Deutschland sucht den Superstar“. Im Spitzenbereich unseres Sports ist in Wirklichkeit alles viel einfacher, die Sportler haben ein wahnsinnig gutes Gefühl für ihren Körper. Das wollen die meisten engagierten Hobbyläufer einfach nicht wahrhaben, weil sonst der Mythos verloren gehen könnte. 

 

Die Bedingungen und Grenzen des „Rekordversuches“ waren zudem sehr willkürlich gezogen. Die Distanz war nach Veranstalterangaben korrekt (angeblich AIMS-vermessen, wobei das schwer überprüfbar ist), sonst hatte die Aktion wenig mit einem Marathonlauf gemeinsam, außer dem Hauptdarsteller.

 

Den Windschatten durch das Führungsfahrzeug hätte man noch etwas konsequenter ausnützen können, da sind seinerzeit schon in Wien Gerhard Hartmann (u.a. bei seinem Rekord im Jahr 1986 (2:12:22)) und später Eva-Maria Gradwohl wesentlich dichter hinter ihrem Führungsfahrzeug gelaufen. Bei Hartmann war es sogar ein eigens adaptierter VW-Bus, wo man die Abgase mit einem Schlauch nach oben geleitet hatte und Gradwohl ist eigenen Angaben zufolge einige Male aufs Führungsfahrzeug (mit zusätzlichem Aufbau als Windschild) aufgelaufen, weil sie so knapp dahinter war (und später wegen Verstoßes gegen die Dopingbestimmungen gesperrt wurde…).

 

Warum hat man nicht gleich einen leicht bergab führenden Kurs genommen, eine point-to-point Strecke mit starkem Rückenwind oder heftigen Rückenwind aus großen Ventilatoren auf Begleitfahrzeugen produziert? Absurd? Nicht unbedingt und nicht einmal neu, wie (Doper) Justin Gatlin bei einem „Weltrekord“ über 100m in Japan gezeigt hat:

 

Egal ob #breaking2 oder der „Wings for Life World Run“ am Tag darauf: es gibt unzweifelhaft eine Entwicklung des Sports: weg vom institutionalisierten Sport der Verbände mit genormten Disziplinen und Strecken, andere „Formate“, weg vom Olympischen Sport. Wenn sich Menschen von solchen Bewerben inspirieren lassen und deshalb selbst Sport betreiben, dann hat die Entwicklung etwas Gutes. Sport als aktive Gesundheitsvorsorgemaßnahme wird immer wichtiger. Wenn es eine für die Marketing-Strategen von sponsorwilligen Firmen passende Sportart nicht gibt, wird sie einfach erfunden (z.B. „Red Bull Air Race“) und bei Bedarf wieder eingemottet. Könnte ja auch egal sein. Nicht egal sollte es aber den Verbänden und internationalen Organisationen (IOC, …) sein, die mit ihren Korruptions- und Dopingskandalen selbst viel zu dieser Entwicklung beigetragen haben. Die Veranstalter von vielen klassischen Marathonläufen versuchen einer Stagnation mit einem immer größeren Angebot zu begegnen. Sie müssen sich Gedanken machen warum z.B. immer mehr Läufer für die Teilnahme an „dirt runs“ viel Geld ausgeben, um dort das zu tun, was sie seinerzeit bei den Bundesheer-Übungen am meisten gehasst haben und den eigentlichen Marathonläufen, wo die Leistung objektiv eingeordnet werden kann, zunehmend fernbleiben. Das große und neue Angebot führt zwangsläufig zu einer relativen Entwertung der klassischen Bewerbe und der dort erzielten Leistungen, wenn heute schon jeder Kirschkernweitspucker und Baumstammroller in der Provinz einen neuen „Weltrekord“ aufstellen kann. Die Olympischen Spiele haben ohnehin durch das Überangebot anderer internationaler Wettkämpfe viel eingebüßt.

 

Also: Die Leistung von Eliud Kipchoge war bewundernswert, das ganze Rundherum und viele dazu passende Entwicklungen, die offensichtlich zu unserem Zeitgeist passen, sind aber mehr als fragwürdig. Wenn sich dadurch jemand zum Laufen inspirieren lässt (kann ich mir persönlich schwer vorstellen), dann ist es gut. Und das Beste daran: die zahlreichen Reaktionen (es müssen nicht alle die gleiche Meinung haben) zeigen, dass Sport Emotionen weckt und einen hohen Stellenwert hat!

 

Ausführlicher Bericht im "Standard" von Fritz Neumann (mit Zitaten von mir)
Kommentar im "Standard" von Florian Vetter

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Statistiken zum VCM

Für die Statistik-Interessierten: Zahlen zu den VCM-Bewerben.

 

Bitte beachten: die Zahlen sind finisher-Zahlen von der Ergebnisliste auf der Website, die Zahl der Gemeldeten und auch der Starter sind natürlich etwas höher.

 

Insgesamt sind also Samstag und Sonntag 36.032 Läufer ins Ziel der verschiedenen Bewerbe gekommen. Beim Marathon, Halbmarathon und Staffelmarathon gab es gegenüber 2016 einen leichten Rückgang (die anderen Bewerbe hab ich nicht angeschaut), was schon alleine durch die widrigen Bedingungen erklärbar wäre und vielleicht (spekulativ!) hat der 10km-Bewerb etwas „abgezogen“.

 

Interessant die Zahlen zum neuen 10km-Lauf am Samstag:

insgesamt 1279 finisher (inkl. ÖMS). Bei der Siegerehrung nahm die Ehrung der estischen Drillinge als Sieger beim "10k Invitational" mit langen Interviews breiten Raum ein, diese 3 waren aber die einzigen Teilnehmerinnen, bei den ÖMS hätten sie keine Medaille gemacht

Beim 10km-Lauf waren (als einzigem Bewerb) mehr Frauen als Männer im Ziel.
Alle Angaben ohne Gewähr.

"Charity-Läufe" - wer profitiert wirklich?

Helfen ist gut, keine Frage. Es gibt immer mehr Charity-Läufe/Benefiz-Läufe, die auf den ersten Blick eine tolle Sache sind und einem guten Zweck dienen. Der Grundgedanke: Laufen und Helfen wird gekoppelt. Einerseits gibt es Sportveranstaltungen, die aus einem konkreten Anlass (z.B. Unfall von Kira Grünberg) organisiert werden, andererseits jene, wo das Argument, dass mit der Teilnahme (und dem Bezahlen der Nenngebühr) jemandem geholfen wird, mehr Teilnehmer angelockt werden sollen. In den seltensten Fällen ist dabei wirklich transparent, wie viel eingenommen wird, wie viel gespendet wird und vor allem, wer tatsächlich am meisten von den Einnahmen profitiert. Nicht immer ist es klar, ob die "Charity" Aktion diese Bezeichnung rechtfertigt.

 

Schauen Sie sich die Ausschreibungen dieser Veranstaltungen ruhig genauer an, falls diese Information überhaupt zu finden ist. Nebulose Bezeichnungen wie: "Die Einnahmen kommen der Organisation XY zugute", oder vage "für die Forschung" sollten hellhörig machen. Leider gibt es auch abseits vom Sport zu viele Fälle, wo Spendengelder (v.a. für Organisationen im Ausland) nur in geringem Ausmaß dort ankommen, wo sie eigentlich sollten und manchmal fließen die Mittel über Umwege zurück zum Veranstalter oder Personen/Organisationen in dessen Umfeld.

In der Praxis gibt es folgende Abstufungen von Charity-Läufen:

  • "Alle Einnahmen werden für den Zweck X verwendet" bedeutet, dass alle Startgelder und auch etwaige sonstige Einnahmen (Sponsoren, Spenden, …) abgeliefert und die Einnahmen auch nicht zur Abdeckung etwaiger Organisationskosten (Zeitnehmung, Startnummern, Streckensperren/Genehmigungen, Helfer, Labestationen, …) verwendet werden. Sachspenden für den Veranstalter (z.B. Getränke für die Labestellen oder Stellung einer Tonanlage durch einen Sponsor) sind ein anderes Thema.
  • Bei "Der gesamte Reinerlös wird für den Zweck Y verwendet" sollte man schon etwas vorsichtiger sein. Beim "normalen" Unternehmer ist der Erlös die Differenz zwischen Aufwand und Ertrag, bei einer Sportveranstaltung ist das nicht immer so einfach, v.a. wenn unter den Aufwendungen auch ein angemessenes (?) Geschäftsführerentgelt oder ein Organisationskostenbeitrag verrechnet wird. Etwas vereinfacht ausgedrückt: ein Laufveranstalter kann sich für die Organisation ein Fantasie-Entgelt von € 10.000.- genehmigen und dann den spärlichen Rest großzügig abliefern. Wenn auf vorsichtiges Nachfragen beim Veranstalter gleich mit Klage gedroht wird, bleibt ein ziemlich unguter Beigeschmack.
  • Bei "Die Startgelder werden zur Gänze (oder in einem bestimmten Ausmaß) für den Zweck Z gespendet", ist das zumindest nachvollziehbar, wenn die Anzahl der (zahlenden) Starter und die Höhe des Startgeldes bekannt sind. Somit kann jeder potentielle Teilnehmer entscheiden, ob der Begriff "Charity-Veranstaltung" gerechtfertigt ist. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass bei großen, werbeträchtigen Veranstaltungen die Werbe- und Sponsoreneinnahmen oft beträchtlich höher sind als die eingenommenen Startgelder und diese selten transparent gemacht werden.

Man könnte diskutieren, ob es unterstützungswürdig ist, wenn bei einer sich als "Charity-Event" deklarierenden Veranstaltung ein Großteil der Einnahmen beim Organisator bleibt oder u.a. für das Geschäftsführer-Entgelt einer „gemeinnützigen Stiftung“ verwendet wird.

Ich denke, solange es transparent ist, wer in welchem Ausmaß tatsächlich profitiert, ist das auch in Ordnung. Es kann dann jeder selbst entscheiden, ob er an einer solchen Veranstaltung teilnimmt und bezahlt. Nicht in Ordnung ist es aber, wenn eine Veranstaltung in der Werbung vor allem als "Charity-Lauf" ("für den guten Zweck") positioniert wird, tatsächlich aber nur wenige Prozent der Einnahmen gespendet werden. Ehrlicher wäre es dann (was es auch gibt) darauf hinzuweisen, dass im Rahmen einer (kommerziellen) Veranstaltung eben auch ein Charity-Projekt im bestimmten Ausmaß unterstützt wird. Nicht mehr und nicht weniger.

Anm: Dieser Beitrag von Wilhelm Lilge wurde im Laufsport-Magazin (6/2016) veröffentlicht.